Es gibt ein Sprichwort, das besagt: „Zeig mir deine Wohnung und ich sag dir, wer du bist.“ Diese Worte fielen mir heute ein, als ich das Wohnzimmer von der bezaubernden Sängerin Kristina Jung betrat. Ein kunterbuntes Sammelsurium, bestehend aus zusammengewürfelten Flohmarktgegenständen, zarten Zeichnungen, einer imposanten CD – und Plattensammlung, einem prall gefüllten Bücherregal, einem ausgebauten Fernseher sorgten dafür, dass ich mich ab der ersten Minute sehr willkommen fühlte. Für dieses spontane Wohlfühlen war natürlich auch die Gastgeberin selbst verantwortlich, die sich tapfer meinen Fragen stellte und mit mir über Heimatgefühle, Drogenbarone, Lampenfieber und erfüllte Träume sprach. Anlass für unser Treffen war die Veröffentlichung von Kristina Jungs erstem Album into the light that i have known, sowie ihr bevorstehender Auftritt beim 22. Landesrockfestival an diesem Samstag im M.A.U. Club in Rostock.
Nachdem ich in einem unfassbar bequemen alten Sessel Platz nehmen durfte und sich Kristina auf das ausgesprochen dekorative Sofa setzte, begann unsere Plauderrunde, die – wenig überraschend – mit Kristinas Liebe zur Musik eingeleitet wurde.
Wie genau hast du eigentlich zur Musik gefunden? Stammst du aus einer musikalischen Familie oder gab es vielleicht einen bestimmten Schlüsselmoment, der dich zur Musik geführt hat?
Also, meine Eltern sind tatsächlich tendenziell musikalisch: Zwar waren beide nie beruflich in diesem Bereich tätig, aber mein Vater hat früher oft auf der Gitarre gespielt und irgendwie war es nur natürlich, dass ich dann bereits mit sechs Jahren mit dem Klavierspielen begann. Dazu habe ich viele Jahre lang in verschiedenen Chören gesungen und mit fünfzehn Jahren angefangen, Gesangsunterricht zu nehmen. Zu dem Zeitpunkt war ich nämlich fest entschlossen, später einmal Opernmusik zu studieren. Der Traum scheiterte dann allerdings an gesundheitlichen Problemen, Lehrerwechseln und meiner großen Nervosität bei den Aufnahmeprüfungen. Danach begann ich dann mein Studium der Germanistik und der Musikwissenschaft in Freiburg und verlor das Musikmachen tatsächlich für ein paar Jahre erstmal aus den Augen.
Dass Kristina Jung heute wieder Konzerte gibt, ist ihren Magisterprüfungen zu verdanken. Als Ausgleich zur Lernerei begann die gebürtige Badem-Württembergerin nämlich erst recht spät damit, sich selbst das Gitarrespielen beizubringen und sich langsam mit ihren eigenen Songs an die Öffentlichkeit zu wagen. Der erste größere Auftritt mit der eigenen Musik fand somit auch erst vor anderthalb Jahren statt, als sich Kristina aus Freiburg verabschiedete. Seitdem ist sie stetig im Prozess, sich wieder an Auftritte vor Publikum zu gewöhnen und Kontakte mit der musikalischen Szene zu knüpfen. Nach mehreren kleineren Gigs als Voract von Künstlern wie Mine oder Allysen Callery folgt nun sogar im Herbst eine eigene kleine Tournee:
Im Oktober begebe ich mich auf eine Wohnzimmertour mit einer guten Freundin von mir. Dabei werden wir überwiegend Konzerte in kleinen Räumen geben, das Ganze wird also sehr salonmäßig, sehr privat. Ich finde das sehr angenehm, weil das Intime ganz gut zu der Art von Musik passt, wie ich sie mache. Insgesamt werden wir 8 Tage lang unterwegs sein und zwar von Hamburg bis nach Mainz mit einem kleinen Gastspiel in den Niederlanden.
Bis es soweit ist, steht an diesem Samstag aber erstmal dein Auftritt bei dem Landesrockwettbewerb im M.A.U. Club an. Kannst du mir ein bisschen was darüber erzählen, wie es zu deiner Teilnahme gekommen ist und mit welchen Erwartungen du an die Sache herangehen wirst?
Ich habe einfach Glück gehabt: Von alleine wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich für den Wettbewerb anzumelden, da ich mit meiner Musik doch sehr aus dem Rahmen falle und wenig mit Rock zu tun habe. Dass ich mich trotzdem dafür beworben habe, ist in erster Linie einer der Organisatorinnen von POPKW zu verdanken, die mich nach meinem Auftritt vor der FRIEDA ansprach. Nach wie vor rechne ich mir aber nicht allzu große Chancen aus, weil ich mich doch ziemlich stark von den anderen Teilnehmern unterscheide: So bin ich die einzige Frau unter den Teilnehmern und noch dazu die Einzige, die auch alleine auf der Bühne steht. Aber ich sehe den Wettbewerb nun einfach als Möglichkeit an, mich einem größeren Publikum vorstellen zu können, Bekanntschaft mit den anderen Künstlern zu machen und hoffentlich einen Auftritt hinzulegen, mit dem ich persönlich zufrieden bin. Alles andere wird sich dann zeigen.
Wie sieht es denn in puncto Nervosität aus?
Auf jeden Fall schlimmer als sonst. Zwar ist es so, dass ich eigentlich immer vor Auftritten aufgeregt bin, vor allem dann, wenn ich vorher nur wenig Zeit für den Soundcheck und zum Einspielen habe, aber dieses Mal quasi als Außenseiter an einer etwas größeren Nummer teilzunehmen ist natürlich schon was Besonderes und sehr, sehr aufregend. Ich hoffe einfach, dass ich nicht gezwungen sein werde, zu improvisieren, weil ich aus lauter Nervosität den Text vergesse.
Was Besonderes ist definitiv auch Kristinas Musik: Insgesamt 35 Minuten lang wird sie am Samstag ihre eigenenLiedern präsentieren, von denen einige aus ihrem gerade erst am 14. September erschienenen Album into the light that i have known stammen.
Was war das für ein Gefühl, zum ersten Mal die eigene CD in den Händen zu halten? Hat sich damit schon ein erster musikalischer Traum für dich erfüllt?
Auf jeden Fall! Der Moment war dann auch total unwirklich, ich meine, wir haben so lange an dieser CD gearbeitet und digital war into the light that i have known bereits eine Woche vorher online, aber erst, nachdem ich die CD dann zum ersten Mal wirklich in den Händen hatte, kapierte ich: Ey, du hast gerade wirklich deine eigene CD veröffentlicht.
Du hast es eben bereits etwas angedeutet: Wie lange hat der Entstehungsprozess von der ersten Aufnahme bis zur Veröffentlichung denn insgesamt gedauert?
Mh, also angefangen die Lieder aufzunehmen haben wir um Weihnachten 2013 . Allerdings hat es natürlich dann ganz schön gedauert, bis wirklich alle mit den Aufnahmen zufrieden waren und die CD gepresst werden konnte. Alles in allem wohl gut ein Dreivierteljahr.
Kannst du denn nach der ganzen Arbeit überhaupt noch deine eigenen Lieder anhören?
Das ist tatsächlich eine komplizierte Sache. Mal so, mal so. Gefühlt habe ich ja allein bei den Aufnahmen für die Platte jedes Lied mehr als 500 mal angehört: Erst nimmt das Lied auf, dann hört man die Rohschnitte, diese werden dann im Studio verbessert, woraufhin man erneut 500 mal die gemasterte Version hörst und selbst dann findet man ab und zu immer noch Schnittfehler oder Arrangements, die man besser hätte machen können. Bis zur Endversion hat man quasi den kompletten Gefühlskomplex vom berauschenden Hochgefühl („Das wird die Welt verändern!„) bis hin zu einem absolute Tiefpunkt („Oh Gott, ist das furchtbar„) durchlaufen. Ist dieser Prozess aber abgeschlossen, kann man die Songs wieder ganz neutral hören, was natürlich erstrebenswert ist.
Wo findest du deine Inspiration für die Lieder? Geht es dir ähnlich wie manchen Schriftstellern, die einen strukturierten Alltag mit festen Regeln à la „Um 8 Uhr wird aufgestanden und mindestens zwei Seiten geschrieben“ brauchen, um kreativ zu werden oder fallen dir Melodien und Textzeilen beispielsweise auch beim Bahnfahren ein?
Die Frage lässt sich pauschal nicht beantworten: Wirklich geregelt ist mein Ablauf leider nie, da ich ja hauptberuflich einer anderen Tätigkeit nachgehe und somit eher Raum für die Musik finden muss. Allerdings lese ich berufsbedingt sehr viel und ich glaube, dass es wirklich hilft, Figuren, Bilder und Geschichten im Kopf zu zu haben, wenn man sich kreativ ausdrücken möchte. Meine Lieder sind ja nicht zwingend biographisch, sondern eher abstrakt und arbeiten mit vielen Bildern und Metaphern. Ansonsten sind andere Musiker und Lieder natürlich eine Inspirationsquelle für mich und ich probiere oft auch einfach Melodien aus, indem ich sie den Tag lang vor mir hin summe und auf der Gitarre herumspiele. Mal klappt was und mal eben nicht.
Auf deiner CD findet sich ja auch ein Lied über Rostock: Rostock/ Show Me Where You Hide Your Longing, wie entstand denn dieses?
Das ist eigentlich ein eher ungewöhnlicher Song von mir, weil er – im Gegensatz zu vielen anderen Liedern, die ich singe – sehr positiv ist. Ich glaube, ich habe das Lied direkt in der ersten Woche geschrieben, als ich im vergangenen Jahr hergezogen bin. Nachdem ich dann nämlich zum ersten Mal nach dem Umzug allein in meiner Wohnung war und ich mit so spannenden Aufgaben wie Spülen und Putzen beschäftigt war, fing ich parallel damit an, diesen Song zu schreiben. Insgesamt habe ich wohl nur gut eine Stunde für den Text gebraucht und noch am selben Tag den Song arrangiert und aufgenommen. Im Großen und Ganzen entspricht der Song auf der CD auch dieser ersten Version, das war also wirklich mal ein relativ fixer Prozess.
Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Kristina als gebürtige Baden-Württembergerin vor gut einem Jahr einen Schritt ins Unbekannte wagte, als sie sich dafür entschloss, ihre Doktorarbeit in der Germanistik in Rostock zu schreiben. Ohne Kontakte und einem klaren Bild von der Stadt kam sie damals hierher – und weiß nun die Stadt vor allem für den Stadthafen, das Liwu und den Klostergarten zu schätzen. Mit Umbrüchen und Abschieden kennt sich die Weltenbummlerin allerdings aus: So führte sie ihr Weg bislang bereits aus ihrem kleinen Heimatdorf in der Nähe von Konstanz u.a. nach Freiburg, Berlin, Amerika und Shanghai.
Du sagst, dass der Rostock Song ungewöhnlich positiv für dich ist. Würdest du deine Musik sonst als schwermütig beschreiben?
Generell bezeichne ich meine Musik immer ganz gerne als Folk mit Einflüssen aus Soul, Rock’n’Roll, Blues und vor allem Klassik, was sicherlich auf meine langjährige Chorerfahrung zurückzuführen ist. Allgemein kann man meine Musik wohl wirklich als düster, melancholisch und episch beschreiben. So nehmen Melodien in meinen Liedern einen großen Raum ein, viele meiner Lieder dauern ja auch schon mal 4 – 5 Minuten. Aber es ist immer wieder lustig zu merken, wie irritiert die Leute sind, wenn ich auf der Bühne irgendwelche Witze reiße und dann meine eher traurigen Lieder anstimme.

Schöne Idee: Zu jedem Song hat ihr Bekannter Adam Cooper-Terán ein Bild gezeichnet. Hier zu: I’m a bird now
Hast du deine musikalische Stilrichtung schnell gefunden oder hast du vorher lange herumexperimentiert, bis du deinen eigenen Stil gefunden hattest?
Meine musikalische Nische war schnell gefunden, weil ich eigentlich genau die Musik mache, die ich selbst immer schon gehört habe. In Anlehnung an einige meiner Lieblingskünstler, die mich praktisch schon mein ganzes Leben begleiten wie The Doors, Leonard Cohen, Joni Mitchell oder auch Laura Marling will ich vor allem eins: Mit meinen Liedern Geschichten erzählen. Allerdings höre ich aktuell auch ganz gerne Künstler wie My Brightest Diamond oder ALT – J, die sich in dem Spannungsfeld organic electronic (Mischung aus Folk und Electro) bewegen.
Wäre das auch eine musikalische Richtung, die dich mal reizen würde?
Ja, ich würde wahnsinnig gerne mal mit jemandem arbeiten, der sich auf das Produzieren von Beats versteht und mir ein bisschen was bezüglich der Fusion von Folk und Electro beibringen könnte. Andererseits reizt es mich aber auch, mich verstärkt in dem klassischen Musikbereich auszutoben und z.B. gemeinsam mit kleinen Streicherensembles oder einem Kammerchor aufzutreten.
Könntest du dir auch vorstellen, auf Deutsch zu singen?
Das war lange Zeit für mich undenkbar, vor knapp vier Monaten habe ich aber tatsächlich damit angefangen, auch mal auf Deutsch was zu singen. Eine Kostprobe wird es an diesem Samstag im M.A.U. Club geben. Ich glaube, es war vor allem am Anfang wichtig für mich, auf Englisch zu singen, um so noch eine gewisse Distanz zu den Songs und zu dem Publikum aufzubauen, schließlich ist jedes selbstgeschriebene Lied natürlich auch eine sehr persönliche Angelegenheit. Inzwischen habe ich aber das Gefühl, dass es für mich keinen großen Unterschied mehr macht, auf Deutsch oder Englisch zu singen, auch wenn mein musikalischer Fokus – jedenfalls zurzeit – schon auf dem englischsprachigen Bereich liegt.
Bleibt abschließend die Frage nach dem Künstlernamen. Kristina wer?
Der Name Jung ist als doppelte Hommage zu verstehen: Zum Einen an meine Großmutter, zu der ich eine sehr enge Beziehung pflege und von der ich wohl das Fernweh geerbt habe und zum Anderen natürlich an die Größen des Blues Folk wie Neil Young. Blöd ist nur, dass die Tochter des Drogendealers George Jung (übrigens gespielt von Johnny Depp in Blow) auch Kristina Jung heißt, weswegen ich gerade zu Beginn auf meiner facebook Seite so einschüchternde Nachrichten wie „Lebt dein Vater noch?“ erhielt. Mit wachsender Bekanntheit werden diese Mails zum Glück aber auch immer weniger.
Es wird wohl nicht allzu lange mehr dauern, bis sich diese Nachrichten vollkommen gelegt haben. So erhielt Kristinas Album von dem amerikanischen Blog the modern folk das großartige Kompliment „well written and exactingly performed singer/songwriter folk that could have convincingly been released in 1969 as much as 2014“ und auch die deutsche Website dasklinicum ist voll des Lobes angesichts ihrer stimmlichen Breite: „aus der tiefe gluckst die stimme zuweilen, in lichte höhen kann sie sich verschwenden und sucht die ecken, sucht die kanten, sich zu reiben, der klarheit eine schwäche abzuringen. taumelnd, manchmal, nie gerissen genug, um sich fremd zu offenbaren. nackt fast schon, so offen„. Somit ist es also nur eine Frage der Zeit, bis sich immer mehr Leute ihrer ungewöhlichen und stimmungsvollen Musik annehmen werden. Ich selbst bin jedenfalls schon ein Fan! Wer sich von Kristinas toller Ausstrahlung und beeindruckenden Stimme selbst überzeugen möchte, kann dies entweder am Wochenende beim besagten Landesrockfestival tun oder ihr hört einfach einmal in die Playlist rein. Viel Freude damit!
Danke für das tolle und informative Interview! Der Song „Show me, where you hide your longing“ ist wunderschön und Kristinas Stimme ist wirklich große Klasse! Ich bin großer Fan von Joni Mitchell und entdecke da durchaus eine Ähnlichkeit.
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Liebe liisa,
vielen Dank für den lieben Kompliment! Es ist immer so schön zu hören, wenn sich jemand über meine Artikel freut. :) Ich bin ganz deiner Meinung höre vor allem „show me where you hide your longing“ immer noch rauf und runter. :)
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